das 19. Jahrhundert wird gelegentlich auch als das »Zeitalter der Ideologien« bezeichnet. Als Reaktion auf die Französische und die Industrielle Revolution entwickelte sich eine Vielzahl neuer Weltanschauungen, die die politische Landschaft teilweise bis heute prägen. Über andere Strömungen ging die Zeit dankenswerterweise hinweg. Dabei war beispielsweise der Okkultismus im 19. Jahrhundert weit verbreitet und zeichnete sich durch eine für mich nachvollziehbare Faszination für verborgenes Wissen und das Übersinnliche aus. Séancen, magnetisierte Damenhandschuhe und Geisterfotografien hatten Konjunktur. Justinus Kerner glaubte, wie viele Zeitgenossen, an den »animalischen Magnetismus«, unsichtbare Lebenskräfte, die ein Magnetiseur lenken kann. Als bekannter »Geisterarzt« wurde er zu einer Patientin gerufen, die unter unheilbaren Visionen, Trancezuständen und unerklärlichen körperlichen Symptomen litt. Kerner ließ sich vom Mädchen von Orlach derart faszinieren, dass er den Fall als Mischung aus Dokumentation, Erzählung und »magnetischem« Experiment verewigte. Für manche die Erstbeschreibung dessen, was wir heute als dissoziative Identitätsstörung bezeichnen. Für andere ein True-Crime-Mystery-Bestseller, der nichts von seiner Faszination verloren hat. Wie ich Ihnen aus meinem Alltag versichern kann, lesen sich heutige Arztbriefe deutlich profaner. Ich wünsche Ihnen eine Lektüre, die Ihre Neugier auf das Unbekannte anstachelt. Ihr Matthias Grüb